Hintergrundinfos Uttarakhand
- Garhwal und Kumaon -
1. Geschichte
2. Religion
3. Buddhismus
4. Die Menschen
5. Die Wirtschaft
6. Die Geographie und Vegetation
1. Geschichte
Aufgrund der spärlichen archäologischen und schriftlichen Quellenlage ist die Geschichtsschreibung bis in das Mittelalter hinein ziemlich lückenhaft. Archäologische Funde lassen darauf schließen, dass sich in schon zwischen 5000 v. Chr. und 2600 v. Chr. in den Bergregionen von Garhwal und Kumaon Menschen angesiedelt haben. Die vermutlich weitgehend von der Jagd und Sammeltätigkeit lebende Bevölkerung wird den Kol zugeordnet. Sie selbst gehören zu einer Seitenlinie der Munda und Bhil, die zur autochthonen Bevölkerung Indiens gehörten. Dem Mahabharata Epos und anderen Schriften zufolge siedelten sich dann Kirata, Tangana und Partangana an. Die Kirata ihrerseits wanderten über das heutige Tibet ein und haben anthropologisch betrachtet mongolide Körpermerkmale. Ihr Siedlungsgebiet erstreckte sich in den Himalayaregionen von Assam bis Ladakh. Begonnen hat diese Einwanderung von Ost nach West um 2500 v. Christus. Für viele Jahrhunderte sollten sie Garhwal und Kumaon beherrschen. Die vermutlich seit der Mitte des zweiten Jahrtausends v. Chr. eingewanderten Rindernomaden, die sich als „Arier“ – Edle - bezeichneten, drangen, wie fast alle in Indien eingewanderten Volksgruppen oder späteren Eroberer, über den Nordwesten, also dem heutigen Afghanistan und Pakistan, in den indischen Subkontinent ein. Kriegstechnisch durch Pferd und Streitwagen im Vorteil, verbreiteten sie sich in den kommenden Jahrhunderten immer weiter nach Osten. Mit sich brachten sie auch religiöse Vorstellungen, die Veden (Wissen; heilige Schriften) und infolge ihrer Abschottung gegenüber der Urbevölkerung und deren Unterwerfung entwickelte sich das zunehmend differenzierte Kastenwesen. Dadurch wurden auch die Grundlagen des Hinduismus festgelegt, indem unter anderem den Brahmanen (Priester), den Opferritualen und der Sprache Sanskrit elementare Bedeutung im religiösen Leben erlangte. Ungefähr gegen 1200 v.Chr. wanderten über den Nordwesten des Himalaya, die Volksgruppe der Khasas ein, und siedelten sich vom heutigen Kashmir bis nach Nepal an.
Obgleich die Khasas aufgrund ihrer körperlichen Merkmale den Arier zuzurechnen sind, befolgten sie weder das Kastenwesen noch hatten sie Priester, die für die Durchführung der in den Veden festgelegten Opferritualen zuständig waren. Dies hat sich selbst bis in das letzte Jahrhundert nicht verändert.
Neben den Khasas wanderten noch andere Ethnien in die Region ein, darunter die Nagas und Sakas. In den folgenden Jahrhunderten gelang es neu eingewanderten Volksgruppen, wie schon zuvor immer wieder, sich die Herrschaft über größere Gebiete und der übrigen Bevölkerung anzueignen. Vom 7.Jahrhundert bis zum 11.Jahrhundert erstreckte sich die Herrschaft der Katyuri Dynastie über „Uttarakhand“, das nahezu identisch mit dem heutigen geografischen Gebiet von Uttarakhand ist. Danach zerfiel das Gebilde in kleine unabhängige Häuptlingstümer.
Das Schicksal der relativ kleinen König- oder Fürstenreichen in den Himalayaregionen war auch immer mit der Entwicklung der größeren Reiche verbunden, die sich in den nordindischen Ebenen etablieren konnten und dann wieder zerfielen. Meist waren die Häuptlingstümer oder kleinen Königreiche den größeren und mächtigeren Reiche tributpflichtig und Letztere waren i.d.R. wenig daran interessiert direkte Herrschaft auszuüben. Das änderte sich auch nicht mit der im 11.Jahrhundert beginnenden Präsenz und Ausdehnung moslemischer Herrschaft. Die sich zuerst durch wiederholte Raubzüge in Nordindien offenbarte und dann seit dem 13.Jahrhundert mit der Gründung des Delhi Sultanats endgültig dauerhaft die direkte oder indirekte Herrschaft über Nordindien zu erlangen. Unter den Moghul Herrschern, die Nachfahren von Dschingis Khans und Timurs waren, wurde das nach Ashoka größte zusammenhängende Gebiet Indiens unter einer zentralen Herrschaft vereint. Kaiser Akhbar, der von 1556-1605 regierte, legte hierfür den Grundstein und unter Kaiser Aurangzeb erreichte das riesige Reich in der zweiten Hälfte des 17.Jahrhunderts seine größte Ausdehnung.
In diesen letzten Jahrhunderten wanderten immer wieder Angehörige der Kaste der Brahmanen und Kshatriyas ein, sei es wegen Vertreibung durch Moslems, wie im Falle der Rajputen oder weil sie durch die Herrscher angeworben wurden. Gemeinsam war ihnen der Anspruch auf einen höheren sozialen Status als der, der angestammten Bevölkerung.
Als Ajay Pal im 14.Jahrhundert, der zuvor nur ein kleines Fürstentum anführte, die vielen umliegenden kleinen Fürstentümer (Garhi), es sollen 52 gewesen sein, einigte und ein Königreich gründete, das später als Garhwal bezeichnet wurde, kam es im Nachhinein immer wieder zu Kriegen zwischen den diesen beiden benachbarten Reichen. Im 18. Jahrhundert sollte sich das Geschick der Rajas wenden. Waren es zuerst die moslemischen Rohillas, die insbesondere der in Kumaon herrschenden Chand-Dynastie durch Angriffe, Beutezüge, Landbestzungen und Geldforderungen arg zusetzten, setzten die Gurkhas aus Nepal mit ihrem Expansionsstreben der Chand-Dynastie ein Ende. Interne Machtkämpfe hatten die politische Situation zuvor nur noch mehr geschwächt. Im Jahr 1790 führten die Gurkhas ihren ersten Angriff durch und dieser führte im Nachhinein zur Übernahme der Herrschaft in Kumaon.
Garhwal sollte das gleiche Schicksal ereilen. Ab dem Jahr 1804 wurde Garhwal von den Gurkhas beherrscht und für die Menschen hatte diese kurzzeitige Fremdherrschaft zur Folge, dass die Steuerlasten stiegen, die Herrschaft auch durch gewaltsame Unterdrückung durchgesetzt wurde und das Leben auch in Versklavung enden konnte.
Mittlerweile wollte die englische Ost-Indien Gesellschaft das Machtstreben der Gurkhas nicht mehr länger akzeptieren und setzten zum erfolgreichen Gegenangriff an. Die Niederlage der Gurkhas befreite Kumaon und Garhwal von der Fremdherrschaft, aber diese sollte nur durch eine andere ersetzt werden. Damit sollte die weitere Geschichte von Kumaon und Garhwal fortan erst durch die Ost-Indien-Gesellschaft und dann ab 1857 durch das Britische Empire maßgeblich bestimmt werden. Lediglich ein Teil Garhwals wurde dem Raja Sudarshan Shah von der Ost-Indien-Gesellschaft zugesprochen, das als Tehri-Garhwal bezeichnet wurde. Somit konnte sich die bis in das 14.Jahrhundert zurückreichende Shah Dynastie immerhin ein Fortbestehen ihrer Herrschaft als einer der Princely States sichern. Der Rest Garhwals und ganz Kumaon kam indessen unter die direkte Herrschaft der Briten. Diese Entscheidung beruhte auf der Hoffnung, dass durch den direkten Zugang nach Tibet, die eigenen Handelsinteressen der Ost-Indien-Gesellschaft dadurch vorteilhafter zu realisieren seien. Erhofften sich die Briten ihre Handelsinteressen mit Tibet erfolgreich durchzusetzen.
Mit der Erringung der Unabhängigkeit von der britischen Herrschaft war schon immer die Hoffnung verbunden, einen eigenen Bundesstaat bilden zu können. Doch zuerst waren Garhwal und Kumaon lediglich Bestandteile des Bundesstaates Uttar Pradesh. Viele Garhwalis und Kumaonis fühlten sich unterdessen benachteiligt und glaubten durch einen unabhängigen Bundesstaat ihre eigenen Interessen besser vertreten zu sehen. Im November des Jahres 2000 wurde die Hoffnung auf einen eigenen Bundesstaat erfüllt.
2. Die Religion
Die Bewohner Uttarakhands sind zu mehr als 95% Hindus, dazu kommen noch Sikhs, Moslems, Christen und Buddhisten. Der Begriff „Hindu“ teilt gemäß der indischen Verfassung die Religionen in die zwei Kategorien – in Indien entstandene und in Religionen nichtindischen Ursprungs. Folglich zählen Sikhs, Jains, Buddhisten und alle anderen Anhänger in Indien entstandenen Volkskulte zu den Hindus! Hinduismus steht also stellvertretend für eine Vielzahl von Religionen, die sich zum Teil große Unterschiede aufweisen. Shivaismus, Vishnuismus, Shaktismus usw. basieren auf unterschiedlichen Schriften, Kulten und Ritualen und die verehrten Götter Shiva, Vishnu oder auch Kali nehmen entsprechende Positionen als höchste Gottheit wahr. Die Vielfalt des religiösen Lebens und das Nebeneinander unterschiedlichster Religionen finden auch in Uttarakhand ihren Niederschlag.
Durch die Medien und die Schule wird allerdings eine Tendenz fortgesetzt, die immer mehr auf Vereinheitlichung gewisser Vorstellungen und Praktiken hinausläuft. Insbesondere das Kastenwesen und die damit verbundenen Regeln in Bezug auf Heirat und allgemeineren Interaktionsregeln wurden von den Menschen in den Bergregionen nicht im Sinne orthodoxer brahmanischer Vorstellungen befolgt. Dieser Gegensatz zwischen den in religiösen Büchern niedergeschriebenen Normen der religiösen Tradition und die von der Mehrzahl der Bewohner gelebten Tradition fand auch darin seinen Ausdruck, dass sich zwischen später eingewanderten Volksgruppen, seinen es nun Kshatriyas oder Brahmanen, und den schon länger hier lebenden Volksgruppen, ein Statusunterschied bestand, der die Neuzuwanderer an die Spitze der sozialen und religiösen Statushierarchie stellte. Da die eingewanderten Brahmanen ihre Legitimation aus den religiösen Schriften beziehen, lassen sich auch daraus entsprechende Autorität ableiten. Insofern fand in den letzten Jahrhunderten und vornehmlich in den letzten Jahrzehnten eine von Wissenschaftlern als eine schleichende Überlagerung der „kleinen Tradition“ durch die „große Tradition“ statt. Dieser auch als Sanskritisierung bezeichnete sozial-religiöser Wandel ist noch immer im Gange.
Ein „Hindu“ übt die Religion unter anderen sozialen Rahmenbedingungen ab, als es bei einem Christen der Fall ist. Moralisches Verhalten und Werte sind in eine kosmische Ordnung eingebettet, in der das Individuum je nach Kastenzugehörigkeit, Geschlecht, Lebensalter und Lebenssituation in unterschiedlichster Weise dem „Sanatana Dharma“ zu folgen hat. Positionen und Rollen z.B. als Ehefrau, Ehemann, Sohn, Tochter, Greis oder die individuelle Kastenzugehörigkeit beinhalten unterschiedliche Verhaltensnormen und Regeln. Handlungsfreiheiten sind durch die kosmische Ordnung von vorne rein unterschiedlich verteilt. Und die individuelle Existenz in der Gegenwart ist direkt Folge der im vorherigen Leben guten und schlechten Taten. Das daraus resultierende Karma einer Person sind die Begründung für Glück und Elend eines in der Gegenwart lebenden Menschen. Nur durch eine entsprechend dem Dharma folgenden Lebensweise kann der Einzelne dem Schicksal der Wiedergeburten entgehen. Denn nur dann wird die individuelle Seele ins Nirvana eingehen und somit das Ziel des Lebens erreichen – Moksha – eben Erlösung.
Garhwal war und ist für Hindus eine Region, in der die Götter viele Spuren hinterlassen haben. Im Mahabharata, mithin zu den ältesten Epen der Menschheit zählend, oder dem Ramayana und vielen anderen religiösen Schriften wird das Wirken von Göttern, Weisen, Asketen, Yogis in Garhwal dem ehemaligen Kedarakhand in unzähligen Geschichten beschrieben. Der Himalaya – der Heimsitz des Schnee - war seit Jahrtausenden Ziel von Pilgern und Einsiedlern und heute pilgern mehr Hindus in die Pilgerorte des Himalayas als jemals zuvor. Badrinath ist Gott Vishnu gewidmet und ist für Hindus aus ganz Indien der bedeutsamste Pilgerort des Himalayas. Von diesem nicht weit entfernt liegt Kedernath, wo Shiva verehrt wird. Mit Gangotri und Yamunotri bilden diese Pilgerorte den sogenannten Char (vier) Dharm in Garhwal. All diese Orte befinden sich in Höhen von über 3000 Metern und liegen in beeindruckenden Berglandschaften, die einstmals nur unter schwierigsten Umständen von Pilgern besucht werden konnten.
Das Eingangsportal für Garhwals berühmten Pilgerorte bildet Haridvar und Rishikesh. In Rishikesh durchbricht der Ganges die Berge und 25 km flussabwärts passiert er Haridvar und findet dann seinen Weg in die Weite der Ganges Ebene. In Indien sind alle Flüsse außer dem Brahmaputra mit weiblichen Namen versehen. Dem Wasser des Ganges werden Eigenschaften zugesprochen, die für viele Hindus Anlass sind die reinigende Kraft des Wassers zu nutzen. Der heilige Fluss Ganges, der in Garhwal entspringt, lockt über das ganze Jahr hinweg Millionen Menschen nach Haridvar. Er gehört zu den zu den heiligsten Orten Indiens und er ist einer der vier Orte, in denen alle zwölf Jahre Millionen von Menschen zur Kumbh Mela pilgern.
In Uttarakhand wird Shiva und den Skaktigöttinen Nanda, Gori oder Parvati von der großen Mehrheit der Bevölkerung verehrt. Kein Dorf ohne einen Tempel, denn darin befindet sich ein Idol der Gottheit, die von allen Bewohnern des jeweiligen Dorfes als „Erdgottheit“ oder „Dorfgottheit“ verehrt wird. Die Zahl der dadurch verehrten Gottheiten geht in die Tausende. Gleichwohl werden auch am gleichen Ort noch andere Götter verehrt, die ebenso durch Ikonen im Tempel oder benachbarten Nebentempeln präsent sind.
Neben der Dorfgottheit hat jede Kaste eines Dorfes ihre eigene Gottheit der Verehrung zu teil wird. Schlussendlich fühlt sich die jeweilige Einzelperson einem Gott oder Göttin in besonderer Weise verbunden. Der Vielzahl der Götter entspricht auch eine Vielzahl von Ritualen, die täglich von Gläubigen oder von Priestern durchgeführt werden. Ob bei Geburt, Heirat, Tod oder anderen sozialen Ereignissen führen meistens Brahmanen die relevanten Rituale durch, die oft auch mit Opferhandlungen verbunden sind. Wenn beispielsweise früher, noch vor wenigen Jahrzehnten, Tieropfer zu den üblichen Opferriten zählten, so wurden sie entweder durch andere nichttierische Objekte ersetzt oder die dabei involvierten Personen, versuchen solche Opferungen eher zu verheimlichen.
3. Buddhismus
Die Lehre von Budha, der im späten 5. und frühen 4.Jahrhundert lebte, hat sich nach dessen Tod schnell verbreitet und von den politischen Herrschern und Kaufleuten unterstützt, etablierten sich viele Mönchsklöster und Tempel. Dadurch verloren die Brahmanen an Einfluss. Mit dem Herrscher Ashoka, der die Maurya Dynastie im 3.Jahrhundert vor Christus zu seiner größten Machtentfaltung verhalf, gelang es dem Buddhismus durch die Protektion des Herrschers sich in Indien und über die Grenzen hinaus nachhaltig zu verbreiten. Demzufolge gewann der Buddhismus, der seinen Ursprung im Hinduismus nahm, auch in den Himalayaregionen seine stärkere Verbreitung. Tempel und Klöster zeugen von der Aktivität seiner religiösen Anhänger. Im 8.Jahrhundert bewirkte der hinduistische Philosoph Shankaracharya eine Reformierung des Hinduismus. Obwohl er durchaus Elemente des Buddhismus in seine Lehre eingebunden hatte, versuchte er gleichwohl mit aller Überzeugung den buddhistischen Einfluss in Indien zurückzudrängen. Die Geschichte des Badrinath Tempels steht stellvertretend für diesen Übergang. Der Erzählung nach hat Shankaracharya selbst, die Ikone des Gottes Badri aus einem nahen Tümpel liegend herausgeholt und diesem im Tempel verwahrt. Obwohl das Idol einem Budha in der Padmasan Stellung darstellt, repräsentiert das Idol den Gott Badri der seinerseits den Gott Vishnu verkörpert. Deswegen dürfte sich hier zuvor ein buddhistischer Tempel befunden haben. Durch die von Shankaracharya initiierte Etablierung von neuen Pilgerorten und Maths (Klöster) in Orten im äußersten Süden, Osten, Westen und Norden des indischen Subkontinents, wurde das Netzwerk von Pilgerorten nochmals verstärkt. Die Tirthas entwickelten sich ohne Zweifel zu einer integrierenden Kraft zwischen der Vielzahl hinduistischer Kulte, die entweder schon früher bestanden oder sich noch in den kommenden Jahrhunderten entwickeln sollten.
In Uttarakhand leben mehr als acht Millionen Einwohner, die sich auch hinsichtlich der Kastenzugehörigkeit und der ethnischen Herkunft unterscheiden lassen. So zählen ungefähr 80% der Bevölkerung zu den höheren Kasten und etwa 300.000 Einwohner werden zu den Stammesethnien zugerechnet. In kultureller Hinsicht bewirkten die geografischen Bedingungen Uttarakhands eine für die Bergregionen des Himalayas typische kleinräumliche kulturelle Vielfalt, in der sich die sprachlichen und kulturellen Eigenheiten vornehmlich in den diversen Talschaften manifestierten. Die Bewohner, die in einzelnen voneinander durch hohe Bergkämme getrennten Himalayatälern leben, haben durch die räumliche Abgeschiedenheit ihre jeweilige kulturelle Eigenheit noch vielerorts weitgehend bewahren können. Dennoch ist auch hier eine in ganz Indien wahrnehmbare Tendenz zur Vereinheitlichung von Vorstellungen und Lebensweisen zu beobachten. Die jüngere Generation wächst zunehmend unter Bedingungen auf, wo das „Andere“ durch Fernsehen, Radio, Internet, Touristen, bessere Verkehrsanbindung, Migration usw. immer mehr präsent ist, und somit der eigene Erfahrungsraum nicht mehr länger auf den begrenzten Lebensraum eines Dorfes und seiner unmittelbaren Umgebung beschränkt ist.
Wer in Uttarakhand, wie auch dem gesamten westlichen indischen Himalaya als Reisender unterwegs ist, wird oft in Regionen kommen, wo die Bevölkerung gemäß der indischen Verfassung zum Teil oder als Ganzes zu den „Registrierten Stämmen“ gerechnet wird. Im Falle Uttarakhands wird die Problematik dieser Kategorie deutlich. Im Allgemeinen impliziert der Begriff Stamm eine Personengruppe, die sich von den anderen Menschen bezüglich seiner kulturellen Differenzierung, Abstammung und Territorium ein- beziehungsweise ausgrenzen lässt. Anhand des Beispiels der Bhotia in Uttarakhand lässt sich die Problematik der begrifflichen Anwendung auf eine komplexe kulturellen Wirklichkeit demonstrieren. Die als Bhotia bezeichnete Volksgruppe, die bis zum Jahr 1962 mit Tibet Handel trieb und in den höchst liegenden Bergtäler des südlichen Himalaya-Hauptkammes lebt, erhielt erst im Jahr 1967 den Status als „Scheduled Tribe“. Die späte Statuszuweisung als „Tribals“ hängt sicherlich auch mit der veränderten wirtschaftlichen Situation zusammen, weil der Indisch-Chinesische Krieg von 1962, dem seit Ewigkeiten bestehenden Trans-Himalayahandel beendete. Dass sie sich in vielerlei Hinsicht von den Nicht-Bhotia Bergbewohnern unterschieden und von den Letzteren als „Bods“ bezeichnet werden und dem Status nach noch unter den Kshatriyas und Sudras rangierten, unterstreicht ihre kulturelle Eigenheiten. Doch eben diese Bezeichnung Bhotia wird der kulturellen Wirklichkeit nur bedingt gerecht, denn die in sieben Tälern lebenden Bhotia sind in fünf verschiedene Gruppen mit jeweiligen Eigenname unterteilt und bewohnen jeweils unterschiedliche Täler. Kennzeichnend hierfür sind auch Unterschiede in religiöser als auch sozialer Hinsicht zwischen diesen Untergruppen. Während nun die Bhotia als Stamm Anerkennung fanden, erhielten die im Bhillangana Tal lebenden Budheras diesen Status nicht, obwohl diese, die mit dem Stammesbegriff zusammenhängenden Kriterien, genauso erfüllen, wie die Bhotia. Außer den Bhotia gehören auch die in Garhwal lebenden Jaunsar, die auch erst im Jahr 1967 den Status verliehen bekam, und die in Kumaon lebenden Raaji und Tharu zu den etwa 300.000 „Tribals“.
Will man der kulturellen Wirklichkeit von Garhwal und Kumaon gerecht werden, so kann man behaupten, dass sich die kulturelle Vielfalt Uttarakhands und auch die der anderen Bergregionen des Himalaya maßgeblich durch kleinräumliche Kulturen bestimmt wird und in geografischer Hinsicht, oft nur die Bewohner eines einzelnen Tals die Träger dieser spezifischen kulturellen Eigenheiten sind. Ob es nun die verschiedenen Heiratstypen, die verehrten Gottheiten, die Sprache, die Kleidung, der Hausbau, die Mitgift, den Brautpreis oder andere Aspekte betrifft, die Unterschiede zwischen einzelnen Bevölkerungsgruppen innerhalb Uttarakhands oder den Bergregionen sind Teil einer kulturellen Vielfalt, die sich im Vergleich zu den in der Gangesebene vorherrschenden Vorstellungen, nochmals stark unterscheidet.
Für den Besucher Uttarakhands ergeben sich dadurch interessante Einblicke in eine indische Wirklichkeit, die eben durch Verschiedenartigkeit geprägt ist, und sich aus dieser ihren besonderen Reiz und Anziehungskraft, aber auch ihr Konfliktpotenzial bezieht.
Was für Indien zutrifft, gilt auch für Uttarakhand: Die Landwirtschaft ist die dominierende Lebensgrundlage. Weil die Landwirtschaft nicht in der Lage ist für ausreichend Beschäftigung zu sorgen, kommt es auch hier wie andernorts in Indien zur Landflucht. Dadurch hat sich eine Situation ergeben, in der oft die erwachsenen Männer außerhalb des eigenen Dorfes Arbeit suchen müssen, und diese finden die Männer vorwiegend in den Städten, wo es Industrie und Dienstleistungsanbieter gibt. Von den Ehefrauen getrennt leben sie in den Städten und schicken das Geld nach Hause, wo die Ehefrauen samt Kindern, die Landwirtschaft betreiben. Für den Besucher Garhwals wird sich deshalb ein Bild einprägen, indem fast alle landwirtschaftlichen Tätigkeiten von den Frauen und Mädchen verrichtet werden, was eben nicht nur an einer einseitigen Verteilung der Arbeit liegt, sondern auch auf der allgemeinen schwierigen wirtschaftlichen Situation basiert.
Auf den Terrassenfeldern werden verschiedene Nutzpflanzen angebaut, und in dieser Hinsicht bietet Uttarakhand eine unglaubliche Vielfalt. Doch auch hier macht sich mehr und mehr die Tendenz breit, weg von der einstigen Vielfalt hin zugunsten ertragreicheren Sorten oder Cash Crops, wie Kartoffeln.
Das seit Jahrhunderten existierende Pilgerwesen hat insbesondere für Garhwal eine entsprechende Dienstleistungsgewerbe nach sich gezogen. Die Zahl der Pilger, die zu den Pilgerorten in Garhwal reisen, hat sich in den letzten drei Jahrzehnten doch merklich gesteigert. Der Großteil der Pilger bleibt jedoch im Raum Haridwar und Rishikesh und diese Orte sind im letzten Jahrzehnt dramatisch angewachsen. Neben Dehra Dun der Hauptstadt von Uttarakhand sind es eben die Orte, die in der Ebene liegen, welche die Bewohner aus den Bergen anziehen. Auf diese Weise sorgen die in den Bergen liegenden Pilgerorte für saisonale Beschäftigungen von etwa April bis etwa Ende Oktober zumindest entlang der Pilgerrouten.
Der Bau des riesigen und äußerst umstrittenen Tehri Staudammes und anderen Wasserkraftwerken, sowie der Straßenbau bringen keine Beschäftigung für die lokale Bevölkerung, weil die geringe Bezahlung vornehmlich von den Menschen geleistet wird, die aus ärmeren Bundesländern wie z.B. Bihar, stammen.
Lediglich der Staat und seine Institutionen, sichern eine Beschäftigung zu der ein regelmäßiges Einkommen, bezahlte Ferientage und eine Pensionszahlung gehören. Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass sich in Indien fast alle Familien darum bemühen zumindest ein Mitglied in den Staatsdienst zu bringen. Doch die Chancen hierfür werden immer geringer, weil sich der indische Staat in einer prekären Finanzlage befindet und die Schaffung neuer Jobs innerhalb des Staatssektors abwegig ist.
Der Bundesstaat Uttarakhand, wie auch der von Himachal Pradesh sieht vorzugsweise im Tourismus eine Chance zur Beschäftigung und wirtschaftlichem Wachstum. Deswegen werden diesbezüglich Aktivitäten unternommen. Der Erfolg hängt nicht zuletzt davon ab, inwiefern Indien sich als Touristendestination etablieren kann. Während die Bundesstaaten Goa und Rajasthan sich etabliert konnten und Kerala diesbezüglich Erfolge aufweist, sind die indischen Himalayaregionen mit Ausnahme von Ladakh noch davon entfernt, eine mit Nepal vergleichbare Bekanntheit zu erwerben. Doch dies dürfte sich ändern, zu schön und zu faszinierend ist der indische Himalaya, als dass er noch länger ignoriert werden könnte.
Entscheidender als die ausländischen dürften jedoch die inländischen Touristen für eine positive Beschäftigungsentwicklung sorgen, denn die zunehmende Zahl Besserverdienender der indischen Mittelklasse, könnte diesbezüglich nachhaltige Zeichen setzen.
6. Geografie und Vegetation
In geografischer Hinsicht kann der Garhwal und Kumaon Himalaya in folgender Weise eingeteilt werden.
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Himadri (Höherer Himalaya)
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Himanchal (niederer Himalaya)
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Siwaliks (Äußerer Himalaya)
Wer von Delhi kommt und nach Dehra Dun fährt, wird zuerst noch die Siwalik Bergkette erklimmen, bevor er das dahinterliegende Dehra Dun erreicht. Diese zwischen 750 und 1200m hohe Bergkette zieht sich parallel zu der Niederen Himalaya-Bergkette und ist durch ein Tal – dem Dun – von diesem getrennt. Die Duns sind flache Täler und das von Dehra Dun ist das größte, mit 35km Länge und 25km Breite. Hier herrscht ein feucht tropisches Klima und zeichnet sich durch eine reichhaltige Baumvielfalt aus. Die Bhabar Zone des südlichen Himalayas und Kumaons ist ein schmaler Streifen am Fuße des Niederen Himalayas in der das Wasser in den hier befindlichen Sedimentschichten versickert und die Wasserläufe meist trocken sind.
Von Rishikesh, das am Fuß des niederen Himalayas und am Ganges liegt, führt die Straße hoch zur ersten Bergkette des Niederen Himalayas, eine Zone, die auch als Himachal genannt wird. Diese ist zwischen dem Main Boundary Thrust und dem Main Central Thrust eingegrenzt und diese trennen die Siwalik und den Himadri. Die Bergketten erreichen zwischen 1500m und 2700m Höhe. Die Vegetation in dieser Zone ist vornehmlich durch Kiefer-, Eichen-, Tannen und Mischwälder geprägt. Die riesigen Deodarbäume wachsen in Höhen von 2300 bis 2800m. In Kumaon und Garhwal sind die Kieferwälder nicht zuletzt dadurch prominent, weil nach Jahrzehnten massiver Entwaldung durch rücksichtlosen kommerziellen Holzeinschlag, als Setzlinge industriell nutzbare Arten zum Zuge kommen.
In diesem geografischen Raum lebt auch die Mehrzahl der Bevölkerung und nutzt alle Vegetationszonen vom Talgrund bis hoch zu den Almweiden für ihre landwirtschaftlichen Tätigkeiten.
Das Höhenrelief des Himadri, das sich an das Himanchal anschließt, liegt durchschnittlich zwischen 4800 und 6000 Meter. Hier in den Gletscherregionen werden Flüsse wie Ganges und Yamuna gespeist, die für Millionen von Menschen in der Gangesebene, für die landwirtschaftliche Bewässerungswirtschaft von entscheidender Bedeutung sind.